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„Ich habe zehnmal nachgeschöpft!“ – Paul Niedermann spricht über seine Zeit im Konzentrationslager Gurs

Am 6. November 2013 besuchte Paul Niedermann, ehemaliger Insasse des Konzentrationslagers im südfranzösischen Gurs, das Goethe-Gymnasium Germersheim. In einer zweistündigen Veranstaltung sprach der 86-jährige Autor vor den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 11, 12 und 13 sowie zahlreichen Eltern und Lehrern. Nach einer kurzen Einführung durch Schulleiterin Ariane Ball warteten etwa 300 Menschen in der prall gefüllten Schulaula gespannt und mucksmäuschenstill auf die Ausführungen des 1927 in Karlsruhe geborenen Juden.
Paul Niedermann schickte zunächst einige Vorbemerkungen zu den historischen Rahmenbedingungen seiner Kindheit voraus, wobei er unterstrich, dass er nicht als Lehrer und besonders auch nicht als Geschichtslehrer auftreten wolle. Seine von der Weltwirtschaftskrise geprägte Kindheit in seiner Geburtsstadt hatte durch Hitlers Machtergreifung 1933 eine neuerliche Wendung genommen. Bereits in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur mussten die Juden den Boykott ihrer Geschäfte und zahlreiche Verbote hinnehmen. Kino-, Musik- und Theatervorstellungen durften durch sie nicht mehr aufgesucht werden. Zudem durften sie viele Berufe nicht mehr ausüben, was vor allem Niedermanns Mutter als Künstlerin betraf. Niedermann selbst war von seinem Lehrer aus der Schule verwiesen worden und sollte auch nie wieder dorthin zurückkehren. 
Die sogenannte „Reichskristallnacht“, welche sich 2013 zum fünfundsiebzigsten Mal jährt, blieb dem damals Elfjährigen ganz besonders in Erinnerung. Detailreich schilderte Niedermann, wie sein Vater damals den Brand der Karlsruher Synagoge vom Fenster aus beschrieb. Während wenigen Verwandten Niedermanns nach den Pogromen im November 1938 noch die Ausreise in die USA gelang, was angesichts der restriktiven Einreisebestimmungen sehr schwer war, blieben die Niedermanns in ihrem Haus in der Karlsruher Innenstadt.
1940 wurde die Familie – neben seinen Eltern auch der vier Jahre jüngere Bruder Arnold – von den Nationalsozialisten abgeholt. Den Befehl dazu hatten die Gauleiter Badens und der Saarpfalz, Robert Wagner sowie der aus Lingenfeld stammende Josef Bürckel gegeben. Die Niedermanns bekamen zwanzig Minuten Zeit, um ihre Koffer zu packen. Einen Tag lang mussten die Niedermanns neben sehr vielen anderen Menschen im Kellergewölbe des Karlsruher Hauptbahnhofs zubringen, bevor der Dreizehnjährige mit 6504 anderen saarländischen, pfälzischen und badischen Juden mitten in der Nacht in insgesamt neun Züge gesteckt wurde, welche durch ganz Frankreich bis ins südfranzösische Pau fuhren.
Im Zielbahnhof am Rande der Pyrenäen mussten die Niedermanns Lastwagen besteigen, welche in das kleine Örtchen Gurs fuhren. Das Konzentrationslager war zunächst zur Internierung von Menschen genutzt worden, welche sich dem Francoregime widersetzt hatten. Die Zusammenarbeit mit dem spanischen Diktator ermöglichte es den Nationalsozialisten das Lager für ihre Zwecke weiter zu nutzen. Gleich zu Beginn wurden Männer und Frauen getrennt, wobei Niedermanns Mutter ihre beiden Söhne fest an sich klammerte und ins Frauenlager nehmen konnte. Nach einigen Wochen musste Niedermann jedoch zu den Männern wechseln und sah dort seinen Vater wieder.
Unter unglaublichen hygienischen Bedingungen verbrachte Paul Niedermann acht Monate im Lager – in Blocks mit 200 Menschen, die eigentlich für 40 ausgelegt waren. Im Goethe-Gymnasium berichtete er über seine Hemmungen, die Toiletten aufzusuchen, über den Ekel vor den Ratten und über die Spülwasser ähnelnde Suppe, das einzige Nahrungsmittel neben dem streng rationierten Wasser. Nach nur wenigen Monaten hatten viele der an der Ruhr erkrankten Gefangenen ihr Leben verloren. 
1941 wurde er ins Lager Rivesaltes an der französischen Mittelmeerküste verlegt. Hier gelang ihm 1942 die Flucht. Am ersten Tag außerhalb der Lager habe er bei der Familie, bei der er von einer jüdischen Untergrundhilfsorganisation untergebracht worden sei, beim Abendessen zehnmal nachgeschöpft und habe sein Glück gar nicht fassen können!
Niedermanns anschließende Flucht durch halb Frankreich bis in die Schweiz gestaltete sich angesichts des in Südfrankreich herrschenden Vichy-Regimes sehr schwierig, doch schließlich gelangte er bei Genf über die Grenze und befand sich in Freiheit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entschied sich Niedermann für Paris als neuen Wohnort und lebt dort noch heute.
Im Goethe-Gymnasium bestach Niedermann durch Eloquenz, Witz und vor allem durch die Art, mit jungen Leuten umzugehen. Da es in der heutigen Zeit nicht mehr viele Gelegenheiten gibt, mit Menschen zu sprechen, die den Holocaust überlebt haben, vermochte es Niedermann, nahezu alle Zuhörer in seinen Bann zu ziehen und im Anschluss an seinen Vortrag Fragen zu beantworten. Hiervon machten zahlreiche Schüler sowohl im Plenum als auch im Nachgespräch auf der Aulabühne rege Gebrauch und wünschten sich einen zweiten Besuch Niedermanns am GGG.

Dirk Wippert

 

 

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